Sonntag, 11. November 2012

11. Der Kampf gegen die Dummheit

11. Der Kampf gegen die Dummheit
                            


„Erinnert ihr noch, wie Werner eines Abendes zu uns sagte, Dummheit sei unheilbar und gehöre bestraft?“
„Jo. Aber das sagte er im Affect und nahm das später zurück.“
„Richtig, Jan! Ich fand das trotzdem witzig und habe es nicht vergessen. Und ich erwähne es, weil wir nun, als wir die Evangelien der Schuld entlarvt und das der Unschuld gefunden haben, uns fragen mögen, wenn nicht müssen, woran es gelegen habe, dass diese Frohbotschafft, die ja nun eigentlich nicht neu ist,  in der Welt der Menschen entgeistet, verdrängt, verfälscht, verzerrt ward und beinahe unterging?“
„Die Kirche war immer schon von Heuch’lern durchsetzt, die ichsüchtig nur an ihr eigenes weltliches Wohl dachten und allso unliebsamme Stellen der Schrift verfälschten oder fälschen ließen!“
„Das mag zwar seien, Werner, geht mir aber erstens zu anklägerisch mit der Frage um und setzt zweitens zu spät an. Ich denke nämlich, dass schon die ersten Christianer entweder das Frohe der Botschafft nicht gänzlich erkannt hatten oder aber zumindest versäumten, ihren Freunden der zweiten Generation dies Frohe in den wichtigsten Worten des Christus zu offenbaren, zu erklären und vorzuleben.“
„Als dar wären?“
„Die sieben „ego-eimi“-Stellen, allso die sieben „ich-bin“-Stellen, in denen dem Christus Worte über sich in den Mund gelegt oder aber originale Worte Jesu über den Christus citiert werden. Diese Worte mag ja jeder Bibelleser lesen und versuchen, gedanklich zu erschließen, aber die meisten der dies Versuchenden kamen zu keiner Klarheit oder sie kamen gar zu Fehlern. Über Zweie sprachen wir schon, nämlich über die der Waarheit und über die des Weinstockes und der Reben. Eine andere Stelle ist: „Ich bin der gute Hirte. Dieser giebt sein Leben den Schafen.“ (Joh 10,11). Diese Stelle ward sofort von den non-inspirierten Lesern oder Hörern als Prophezeiung ausgelegt, dass der arme, liebe Herr Jesus am Kreuze "sein Leben" lassen und verlieren werde.“
„Jo, Hans! Ist das etwa falsch? Ließ er denn sein Leben nicht dort, auf Golgatha?“
„Das Leben ist wie die Liebe, Werner. Du kannst ihrer geben und geben und sie wird doch nicht weniger, sondern mehr. Der gute Hirte giebt sein Leben, ohne es deswegen zu verlieren. Die andere Deutung ist ohne Geist, nur körperlich oder einzelmenschlich gesehen. Dann und nur dann impliciert die Lebensgebe den Verlust, wobei fraglich bleibt, wieso der gute Hirt solcher Weise sein Leben den Schafen gebe, denn sie gewinnen es doch so nicht.“
„Und wer das trotzdem so und nur so sieht, der ist dumm?“, stocherte Werner.
„Das habe ich nicht gesagt. Es ist nicht geistvoll, weil non-transcendent, aber muss das denn ‚dumm’ genannt werden? Ist ‚dumm’ ein trefflicher Name für eine andere, wenn auch untreffliche Deutungsweise? Und ich fragte doch Alle eingangs, ob sie dein Citat, Werner, noch erinnerten, weil ich gerade nicht dieser Ansicht bin, Dummheit sei zu verklagen oder zu bestrafen. Außerdem gebe ich dir und euch allen hiermit zu bedenken, dass der Name ‚Dummheit’ auffälliger Weise irgend immer wie eine Anklage klingt. Wenn jemand „Un-", allso "Nicht-Wissen“ meint, aber ‚Dummheit’ nennt, klingt es in den meisten Fälle so, als sei zu dem gemeinten Unwissen noch das Gift einer Anklage mit hinzugekommen. Wie kommt das aber? Ich vermute, dass wiederum unsere untreffliche Hilfscausalität bevorzugt ‚Dummheit’ als einen vermeintlichen Grund setzt, weil in ihr die Schuld und mit ihr die Verklagemöglichheit inne wohnt, die dem neutralen Nicht-Wissen nicht anhaftet. Bei ‚Dummheit’ klingt entweder eine absichtliche Ignoranz oder eine Minderwertigheit des Intellects einschließlich des Menschen mit, dessen Intellect gerade niedergewertet wird. Vorderstes Anliegen scheint allso, Schuld loszuwerden, indem sie an als darfür tauglich erachtete Träger gewiesen wird. Diese sind am Ende immer "die Dummen", und zwar durchaus im doppelten Sinne.“
„Ja! Und müsste allso der Kampf gegen die Dummheit nicht eigentlich als Bestrebung zu ’r Befreiung aus der Condicioniertheit gestaltet werden? So, wie du sagst, ist ja auch der Kampf gegen die Dummheit ein Tuen aus Condicioniertheit, nicht?“
„Gut, Jan! Darauf wollte ich hinaus. Der vermeintliche Kampf gegen die Dummheit ist genau so condicioniert wie die Dummheit im Sinne der allgemeinen Lernvermeidung oder doch zumindest der Lernvermeidensbestrebung oder, strenger gedeutet, der Geistverleug’nensbestrebung. Diese nämlich wird hinter alle den vordergründigen Vermeidungen verborgen: Den Geist zu meiden wird gestrebt. Das ist hinter der Lern- und Denkvermeidung zu bemerken und an der Geistleug’nung überhaupt. Warum aber dies? Was ist das Gefäärliche oder sonstwie Ungute des Geistes, dass er zu vermeiden gesucht wird? Das bleibt unerschlossen und demgemäß ungenannt. Wir werden darauf noch zurückkommen, Freunde! Und genau diese sonderbar unklare und fahle Vermeidensbestrebung geschieht auch in der anklägerischen Bekämpfung der Dummheit, sofern sie als ‚Grund für entstandene oder noch zu entstehende Schuld’ erachtet wird.“
„Du deutest aber einseitig, Hans! Du g’laubst an den Geist und deutest den Nichtg’lauben deiner Mitmenschen als Verleug’nung, so als sei erwiesen, dass der Geist doch existiere. Ist das nicht ungerecht?“, gegensprach Werner.
„Formalistisch gesehen: ja. Inhaltlich: nein. Der Geist ist das Leben, die Liebe, das Licht. Wenn jemand diese Dreie anders deutet, allso etwa materialistisch, functionalistisch, körperlich, biochemisch, astrophysikalisch, dann irrt er, weil er Aspecte als Grund überdeutet und die einende Ganzheit zerspaltet.“
„Das ist deine Deutung, Hans. Aber das ist keine Wissenschafft.“
„Was nennst du Wissenschafft? Das Beweisbare? Dann müsste Wissenschafft tot seien, um Wissenschafft seien zu können, denn das Leben ist nicht zu beweisen, nicht zu berech’nen, nicht zu greifen.“
„Nicht privat streiten, Jungens! Nur vor Gericht.“
„Wir streiten nicht, Jan. Wir sprechen über strittige Fragen.“
„Jo, denn ist es ja gut.“
„Wieso ist denn Dummheit nicht zu bestrafen? Ist sie denn anderweit zu besiegen oder sonstwie zu überwinden?“
„Im Kampfe gegen die Dummheit ist nicht zu siegen, weil die versuchte Geistvermeidung in jedem Menschenkinde wohnt, das nachgeboren wird. Sollen wir die Kinder bekämpfen, um gegen deren Dummheit zu siegen? Unmöglich. Allso muss der Ansatz gewandelt werden: Nicht Kampf, doch Hilfe muss gewährt werden.“
An dieser Stelle kam mir die Frage auf, ob diese Hilfe wirklich im Innersten gewünscht werde? Mit anderen Worten, war die Dummheit ein eigenständig Seiendes, dem abzuhelfen war? Schien es nicht vielmehr, dass die angeblich allgemeine Dummheit ein eben so allgemeiner Sündenbock war, der als „der Schuldige“ herhalten musste, ohne doch eigentlich bestraft werden zu können? Wenn dem Schuldg’lauben der Leute der Hauptsündenbock entzogen ward, ohne ihnen einen Ersatz darfür zu bieten, dann hätte man ihnen zug’leich den Schuldg’lauben entziehen müssen. An diesem aber hielten sie in Folge ihrer dualistischen Welt prüflos fest. Wie war dann aber Hilfe zu gewähren? Und so passte denn Jans folgende Frage trefflich zu meinen Gedanken: „Jo, aber welcher Gestalt möge diese Hilfe wohl seien?“
„Das ist die concret schwerst zu beantwortende Frage.  Nur auf höherer Ebene ist zu ihr etwas leichter zu sagen. Lasst uns mit der Gegenwart beginnen. Jemand spricht oder setzt sprechend: „Deutschland hat gegen Spanien null zu eins verloren.“ Dies ist ein Satz, wie wir ihn nach einem Fußballländerspiel zu hören bekommen, nicht?“
„Doch! Klar.“
„Und nehmt ihr diesen Satz einspruchslos hin?“
„Jo, Hans. Oder können wir nicht?“
„Doch, könnt ihr. Aber ich führe nun aus,  inwiefern dieser Satz und euer Aufnehmen dessen die allgemeine Condicionierung widerspiegelt und zug’leich verdeutlicht, wie schwer eine concrete Hilfe dargegen ist. Der Sprecher setzt ‚Deutschland’ mit der deutschen Fußballelf g’leich und tut das Nämliche mit ‚Spanien’ und der spanischen Nationalmannschafft. So zeigt er eine allgemein übliche Verselbigung des Landes und dessen Volkes mit sich als einzelnem Staatsbürger, wobei unterstellt wird, dass dies alle Leute so täten, denn gegen die Bemerkung des Zuhörers, er sei nicht Deutschland oder Spanien und auch die jeweilige Elf sei nicht das Volk oder der Staat, in dessen Farben sie aufträten, käme das erstaunte, wenn nicht gar empörte Gegenwort, er sei wohl ein Egocentriker, Ausländer oder ähnliches.“
„Moment, Hans! Wenn ich es recht erinnere, dann bist du es doch gewesen, der gegen die Vereinzelung sprach. Und nun kommt jemand und schaut sich mit seinen Landleuten als selbig, dann passt dir das auch wieder nicht. Was denn nun?“
„Das sind doch zwei verschiedene Ebenen, Werner! Die Vereinzelung des Nationalisten bleibt ja erhalten, denn er vereinzelt ja die Nationes wider einander. Die Einsschau, die ich meine, ist nicht das Resultat einer Verselbigung, sondern der Erkenntniss der schon zuvor bestandenen Selbigheit, die jedoch nur auf höherer Ebene waar ist. Aber das ist jenem Sprecher nicht klar, dem die bloße Möglichheit der Verschiedenheit der Ebenen schon nicht erschlossen worden ist. Zudem bedenkt dieser Sprecher den Schied zwischen ‚unterliegen’ und ‚verlieren’ nicht und verwechselt habsüchtig die Zeitformen.“
„Ho, Mann! Jetzt kommt ’s aber dicke! Zeitformenverwechselung aus Habsucht? Und den Schied zwischen ‚unterliegen’ und ‚verlieren? Das nennt doch ein Selbes! Das würde ich gern genauer hören!“
„Sollst du ja. Verlieren kannst du einzig das, was dein ist oder dir zu eigen ist. Was kann die deutsche Elf in dem Spiele aber verlieren? Ihre Geduld? Ihre Bekleidung?“
„Das Spiel.“
„Siehst du? Das ist deine Condicionierung aus ungeprüfter Gewohnheit und ebenso prüfloser Wiederholung. Das Spiel ist ihnen ja nicht zu eigen; ist es nie gewesen, dass sie es verlieren könnten, und sie vermöchten es auch nicht mit nach Hause zu nehmen, wie etwa doch einen Pokal oder Cup, wenn sie siegten. Deswegen können sie das Spiel auch nicht gewinnen, sondern nur in ihm siegen. Aber an der üblichen Redewendung nimmt gewohnheitshörig kein Leut (Einzahl zu ‚Leute’!) Anstoß, und wenn doch, dann ist er ein Spinner. So, wie ich.“, grinste Hans.
„Jo, Hans. Du bist echt der größte Spinner, den ich kenne!“, lobte ihn Werner grinsend. „Aber ich liebe dich trotzdem und wegen dessen! Und wie war nun die Habsucht der Grund für die Verwechselung der Zeitformen?“
Nach theat’ralisch irrem und zug’leich dankbarem Grinsen sagte Hans: „Der seiner Welt verfallene Mensch ist habsüchtig. Immer sucht er zu haben, obwohl der Name ‚süchtig’ nicht von ‚suchen’ kommt, sondern von ‚siechen’ und ‚siech’. Aber auch der Siechende ist immer ein Suchender, denn er sucht stets nach etwas Heilendem. Dies dauernde Zu-haben-Begehren seines Denkens wird in seiner dem Denken die Bahnen legenden Sprache wider gespiegelt. So spricht und denkt er schon als kleines Kind immer: „Ich habe“, auch wenn er es nur participiell hat, allso etwa: ‚gesehen hat’ oder ‚gehört hat’ oder ‚gedacht hat’. Hinzu kommt die Täterdeutung: „Ich habe dies getan, dann habe ich jenes getan“. Immer aber ist es dies eine Bekenntniss: „Ich habe, ich habe!“ Und das nimmt zu. Früher waren die Leute hung’rig oder dürsteten, heute „haben sie Hunger und Durst“. Einst wussten die Menschen, heuer „haben sie Ahnung“ oder auch nicht. Oder sie haben, dicker noch, „gefüllt (alias ‚voll’) die Ahnung“. Warden sie im Falle der Besorgtheit gefragt: „Wie ist dir?“ oder "Ist dir nicht gut?", werden sie derzeit gefragt: „Was hast du?“ Bekannten sie früher: “Mir träumte“, prahlen sie heute: „Ich habe geträumt!“ Kommt Euch das nicht auch alltäglich geläufig vor?“
„Jo. Aber wo ist der eigentliche Fehler, Hans?“
„Dass ihr keine Täter seid, sondern ihr euch eine Täterschafft vorgaukelt, ward Euch schon zu erklären versucht. Nun sagt aber auch Jemand, der etwas tat (im Sinne des: als dessen Täter zu seien erlebte), das aber schon verging, immer noch: „Ich habe dir doch vor drei Jahren zehn Euro geschenkt!“ Mag seien, dass er zehn Taler schenkte, respective die Schenkung der zehn Taler einst durch ihn hindurch geschah, aber diese sind kaufender Weise längst gegen Dinge eingetauscht worden, sodass der Beschenkte sie nicht mehr hat. Aber der Schenkende hat sie immer noch, nämlich geschenkt. Merkt ihr? Dies dauernde „Weilen in der vergangenen Gegenwart“ wird dardurch deutlich: Diese Menschen leben nicht in der lebenden Gegenwart, suggerieren sich dies jedoch, indem sie auf ihr präsentisches Haben verweisen, obwohl sie dies vermeintliche Haben nur in der Erinnerung haben.“
„Deine Ausführungen sind wie immer bemerkenswert, Hans. Aber gestatte mir die Frage, ob du ernstlich vermutest, dass die Englisch Sprechenden minder habsüchtig seien denn die Deutsch Sprechenden?“, wagte ich zu fragen. „Die gebrauchen nämlich für das, was verging, zumeist past-Formen und nicht die present-perfect-Formen mit ‚to have’.“
„Oh, das ist eine gute Frage, mein Lieber! Leider kenne ich keine Statistik in dieser Sache. Aber im Ernste gesprochen: Ich vermute, die Habsucht der Englisch Sprechenden äußert sich in anderen Wortverbindungen wie etwa: ‚Have a nice day’ or ‚trip’ or simply: ‚have fun’. Wie sei ein Tag oder eine Reise oder Spaß zu haben? Sie sind zu erleben, zu gewärtigen, zu genießen, aber zu haben sind sie erst in der beendeten Gegenwart, nämlich als erlebt oder genossen zu haben. Ihr seht aber dennoch, in welch ungeschätztem Maße ihr condicioniert seid? Wenn jemand den Namen ‚lebendig’ braucht, dann stört euch das nicht, weil ihr es prüflos gewohnt seid. Bräuchte dieser jemand aber die Namen ‚wütendig’ oder ‚hervorragendig’, dächtet ihr, er spreche fehlerhaft oder gar wirr. Aber ‚lebendig’ ist ebenso fehlerhaft; ‚lebend’ oder ‚lebig’ wäre richtig, obwohl ihr dies bei ‚lebig’ vermutlich nicht wisst. Jenen Fehler ‚lebendig’ aber seid ihr gewohnt, sprich: ihn zu verwenden seid ihr condicioniert, obwohl ihr ohne sprachwissenschafftliche Prüfung sprecht. Auch durch meine Hinweise werdet ihr euer zumeist leichtfertiges, wenn nicht unsinniges Sprechen nicht ändern. Wozu auch? Ihr dächtet garantiert, dass dies nichts brächte, auch wenn ihr das tätet, oder?“
„Du nimmst meine Frage vorweg, Hans!“, gestand Werner ironisch.
„Wäret ihr der Gesinnung, Alles zu bedenken, das Euch als „natürlich“ oder „selbstverständlich“ erscheint (obwohl ihr nicht wisst, was das Selbst ist!), löstet Ihr Schritt vor Schritt die Condicionierung auf. Das ist Alles. Aber diese Schritte sind so klein und ihrer so viele, dass ihr das in den ersten Wochen nicht bemerktet und daraus schlösset, das bringe nichts. Wäret ihr aber dieser denkprüfsammen Gesinnung, dann wüsstet ihr inzwischen längst, dass das ‚Leben’ nicht das ‚In-der-Welt-Seien’ nenne, das ‚Mitleid’ nicht ‚Erbarmen’, das ‚Sterben’ nicht den ‚Tod’, das ‚Gesetz’ nicht das ‚Recht’, das ‚G’lück’ nicht vordergründig gewertet ‚günstige Wendungen des Schicksales’, die ‚Liebe’ nicht den ‚Begehr’, den 'Sex' oder die rauschhafte ‚Begehrerfüllungsdankbarheit’. Kaum ein Mensch ist aber dieser Gesinnung, denn er sucht, die Besinnung, die Sammelung seiner Gedanken, die große Seienslernung und den Geist zu vermeiden. Zuallererst, weil er die Anstrengung scheut wie der Verbrecher das Licht. Und den tieferen Grund vermute ich in der Angst, die immer nur die vor dem Geiste ist, welcher nämlich abgründig und bodenlos und ungreifbar ist, was das Seien des zu greifen, zu begreifen und anzugreifen suchenden Menschen gänzlich verneint. Und deswegen, nämlich von den mich bewegenden Wegen all Dessen, sage ich, die Hilfe gegen die Condicionierung oder gegen die Dummheit alias Geistarmut könne leider nur in der Gestalt der gestaltlosen Liebe bestehen, aber ohne irgend welche Ansprüche, allso ohne einen Besitzanspruch, ohne Zukunftswünsche, ohne jede Leistungsforderung, ohne Verpflichtung, Schuld, ohne Profit. Allso das Unmöglichste, das denkbar ist.“
„Jo, das ist wohl so!“
„Aber fange doch bei uns an, Hans. Hilf uns gegen unsere Condicioniertheit, indem du uns bei unserer Frage erklärend beistehst, wieso das ‚In-der-Welt-Seien’ nicht das ‚Leben’ sei und wieso das ‚Sterben’ nicht der ‚Tod’?“
„Wir g’lauben doch als Christen, dass der Christus das Leben sei (Joh 11,25; 14,6). Wie kann dann aber jemand „sein Leben“ verlieren, wie es immer wieder in Sterbeanzeigen in der Zeitung zu lesen steht? Oder „der Tod gehöre zum Leben“? Dies mag ein Atheist so denken; er deutet ja sein bewegt-körperliches In-der-Welt-Seien als „das Leben“, das bei ’m Sterben so gänzlich endet, dass darnach nur mehr ganze Leblosigheit, allso Tod bleibe. Wenn aber in einer Sterbeanzeige zudem zu lesen steht, dass der „Trauergottesdienst für den lieben Toten“ in der und der Kirche eine Statt finde, dann fällt es mir schwer, in den Hinterbliebene Atheisten zu vermuten. Ein überzeugter Atheist feiert keinen „Gottesdienst“, auch nicht im Sterbefalle; das finde ich auch nicht im Geringsten anklagewert, sondern geradezu löblich consequent. Wer aber vermeint, er sei ein g’läubiger Christ und dennoch in solchen Phrasen denkt, wie es die Atheisten tuen, der ist entweder ein Heuchelchrist oder ein Mensch, der nicht bei Trost ist, denn ihm ist der tröstende Christus gedanklich nicht erschlossen worden. Wenn der Christus das Leben ist, dann ist es nicht wohl möglich zu sagen, dieser Nächste habe sein eigenes Leben, jener Bürger seines und ich mein eigenes. Dar ist nur ein Leben: das Eine des Christus. Der Gedanke, dass je „ich“ dennoch „mein eigenes Leben“ habe, ist so widersinnig, wie zu sagen, der Christus sei die Auferstehung, die Wahrheit und das Leben und dennoch sei ein geschehener Mord wahr. Wir müssen eindeutig wählen: entweder wir g’lauben an den Christus an die Wahrheit oder wir g’lauben an die Welt als die Wahrheit. Entweder wir g’lauben an den Christus als das Leben oder wir g’lauben an unsere bewegten Körper als das Leben. Aber man kann nicht Beides zug’leich g’lauben, ohne entweder sich zu narren oder aber zu ’m Irren oder zu ’m Heuch’ler zu werden. Dar ist nur EIN LEBEN: SEINES, das wir Alle miteinander teilen. Wer an „sein eigenes Leben“ als eines unter vielen g’laubt, der wird es verlieren; wer aber an SEIN LEBEN g’laubt, der wird ES auf ewig nicht verlieren.“
„Ein starkes Bekenntniss, Hans!“
„Jo, das ist es. Und noch etwas: Wenn ER die Auferstehung und das Leben ist, und wenn der, wer an ihn glaubt, zwar stirbt, aber dennoch ewig lebt, dann sind Sterben und Tod zweierlei. Gestorben wird, aber der Tod ist der Irrglaube der Atheisten und Kleing'läubigen, nach dem Sterben sei nur das schwarze Nichts zu gewärtigen. Und wir tuen gut daran, all diese umgangssprachlichen und umgangsdenklichen Widersprüche zu bedenken und zu überwinden. Und ich sage dies, obwohl es mir gänzlich unmöglich erscheint, allen Widersprüchen und Paradoxien unserer Welt zu entkommen. Wir verfallen ihnen immer wieder.“, gestand Werner.
„Und ist das nicht der Grund, das, was wir hier immer durchleben, als Wunder zu empfinden? Wir kommen zusammen, erzählen dies und jenes aus der Welt des Irrtumes und werden darnach immer von dem unser Gespräch führenden guten Geiste in dessen grenzenloser Geduld und liebender Schau belehrt, was wir wieder Alles nicht richtig gesehen, gedacht oder genannt haben. Ist das denn nicht gut so, wir das hier bei uns läuft?“
Alle lächelten und nickten weise.
„Hans, seit wann weißt du eigentlich von der Existenz des Geistes? Und was dachtest du zuvor? Und dachtest du darnach denn auch, dass du zuvor Geistverleug’nung wenn auch unwissentlich betrieben habest? Und durch welche Hilfe kamst du darzu, dies Existenz des Geistes denn trotz der zuvorigen Verleug’nung zu bewissen?“
„Oh, mein Lieber, das sind gute, aber berechtigte Fragen! Und ja, wohl, auch ich betrieb Geistverleug’nung, wenn auch unwissentlich und ohne bewusste Absicht, weswegen ich vermute, dass die Verleug’nung des Geistes unserer ererbten Anlage getreu geschieht. Wir sind für die Welt angelegt, die den Geist nicht als Teil in sich trägt. Eines Tages aber kommen wir darzu, den Geist zu vermuten, dann zu bemerken und schließlich zu erkennen. Dies geschah bei mir nach und nach, und das mir Helfende waren drei, vier gute Bücher und das denkende Gebet oder das betende Gedenk.“
„Und dies verdient den Namen ‚Kampf gegen die Dummheit? Oder doch zumindest gegen die Condicionierung?“
„Nein, eigentlich nicht.“, bekannte Hans, dessen Miene bei den folgenden Wörtern zunehmend trüb bis hin zu tiefer Trauer ward, durch die ein unbesiegbares Grinsen jedoch am Ende wieder hindurchschimmerte. „Diese Wörter waren zu hoch gegriffen. Aber zu ’m Ausgleiche blieben meine Wörter als Antwörter zu deiner Frage ohne jede Tiefe oder Beweiskraft, sind allso zu nied’rig gegriffen und klingen auch nicht so heilig, wie ein großes Bekenntniss zu ’m Geiste, das fällt mir gerade leider auf. Nichtsdestominder bin ich ein Bekenner des Geistes, den Niemand zu greifen, zu begreifen oder anzugreifen vermag, der aber das Leben, das Licht, die Liebe ist, ja west. Genügt dir das?“
„Mir schon, du Schelm. Die Frage ist aber, ob es dir genüge?“, lächelte ich.
Hans schloss sich leicht errötend diesem Lächeln an. Die beiden Freunde eben’ Falles.
Und Jan schenkte uns Allen noch eine Runde ein.

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